Binders Elektronikschule 3
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- Geschrieben von Christian Rückert
27.09.2019 | Warum 0 Grad sind nicht immer 0 Grad sind
Die Ausgangslage erscheint eigentlich klar: Jedes elektronische Bauteil erhält im Layout-Programm beim Erstellen eine Richtung. Diese so genannte "Zero Orientation" (also 0 Grad Ausrichtung) bleibt in der Regel dann erhalten und spielt für den Layout-Prozess meist keine weitere Rolle.
In der Fertigungspraxis sieht das leider ganz anders aus, weswegen wir dem Thema einen eigenen Artikel widmen.
Was ist denn das Problem mit der Ausrichtung?
Das größte Problem mit der Zero Orientation ist die fehlende Einheitlichkeit. Verschiedene Kunden definieren ihre 0 Grad Ausrichtung unterschiedlich. Immerhin gibt es vier Möglichkeiten (die Drehwinkel zwischen den 90 Grad Schritten kommen in der Praxis quasi nicht vor), also werden auch alle vier verwendet. Am häufigsten sind es die zwei Ausrichtungen "Pin1 oben Links" und "Pin1 unten links".
Aber warum ist das ein Problem?
Immer wenn wir die Daten einer Baugruppe vom Kunden bekommen, übertragen wir das Pick&Place File in die Software unserer Bestückungsautomaten. Dort führen wir (wie alle anderen auch) eine eigene Bibliothek (oder mehrere) mit Bauteilen. Dadurch müssen wir der Maschine nicht bei jedem Auftrag mitteilen wie sie ein Bauteil zu behandeln hat.
Das bedeutet, dass wir bei jeder neuen Baugruppe einen Abgleich (Matching) der Kundendaten mit unseren Bibliotheken durchführen müssen.
Automatischer Abgleich kaum möglich
Für den Großteil der Daten ist dieser Abgleich kein Problem:
- Koordinaten können in der Regel einfach übernommen werden.
- Die Bezeichnungen der Bauteile lassen sich häufig automatisiert suchen/abgleichen, auch ein manueller Eingriff ist hier in der Regel recht unkompliziert.
Schwieriger sind die Ausrichtungen/Drehwinkel:
- Welche 0 Grad Orientierung hat der Kunde verwendet?
- Dreht er im oder gegen den Uhrzeigersinn?
- -90 oder 270 Grad?
- Sind die Ausrichtungen im Layout einheitlich?
Diese Fragen lassen sich rein anhand der Pick&Place Daten nicht klären. Hier müssen dann weitere Daten (Gerber, Bestückungsplan...) hinzugezogen werden. Mit dem automatischen Abgleich ist es dann in der Regel vorbei.
Am schwersten wiegt der letzte Punkt: Wenn gleiche Bauteile (Footprints) im selben Layout unterschiedliche Orientierungen aufweisen.
Leider kommt das immer wieder mal vor. Die Gründe dafür können unterschiedlich sein: mehrere Entwickler ohne feste Richtlinie beim Anlegen von Bauteilen, Bauteilvorlagen aus externen Quellen (Hersteller, Internet), Übernahme von Altbeständen eines Partners/Kunden.
Das Ergebnis ist stets das Gleiche. In unserer Arbeitsvorbereitung muss jemand für alle Bauteile manuell prüfen ob die Ausrichtung des Kunden zu unserer hinterlegten passt. Oder es fällt erst an der Maschine beim Anfahren des ersten Boards auf.
Wie geht es denn richtig?
Ein "richtige" Ausrichtung gibt es im Grunde nicht. Im Grunde funktionieren alle Varianten. Sie haben sogar verschiedene Vor- und Nachteile, verschiedene Maschinen definieren sie bis heute unterschiedlich. Verschiedene Verpackungsgebinde geben unterschiedliche Ausrichtungen vor.
Um für Entwickler trotzdem eine gewisse Einheitlichkeit zu gewährleisten, hat die IPC schon vor vielen Jahren Vorgaben definiert. Erst in der IPC-SM-782, später in der bis heute gültigen IPC-7351. Diese Norm gehört eigentlich zum Pflichtprogramm für alle Schaltungsdesigner und Layouter.
Die IPC-7351 definiert für die wichtigsten Footprints die Zero Orientation anhand des Pin 1. Hier einige Beispiele:
Quelle: https://blogs.mentor.com/tom-hausherr/blog/tag/ipc-standards/
Das ist doch eindeutig?
Leider ist dem nicht so. Das erklärt auch warum sich in der Praxis nicht längst ein Standard etabliert hat.
Es gibt neben der IPC-7351 noch weitere Normen die die 0 Grad Ausrichtung definieren:
- IEC 61188-7 macht zwei Vorschläge (Level A und B), wobei Level A der IPC-7351 entspricht
- EIA-481-D definiert die Lage bezogen auf Tape&Reel Gurte
Bei einigen Bauformen unterscheiden sich tatsächlich alle drei Varianten in ihrer Empfehlung.
Eine ganz ausführliche Betrachtung dazu erhalten Sie in Tom Hausherrs Blog.
Was also tun?
Unser Vorschlag
Welche Ausrichtung Sie wählen ist nicht entscheidend. Aber verwenden Sie wenn möglich konsequent eine einheitliche Ausrichtung!
Das ermöglicht es uns immer die gleichen Anpassungen vorzunehmen. Eine Abweichung ist nicht so kritisch, wenn man Sie kennt und stets gleich korrigieren kann.
Unsere Empfehlung bei den Ausrichtungen ist die IEC 61188-7 Level B:
Das bedeutet Pin 1 ist in der Regel unten links, 2-Poler sind wie bei IPC-7351 horizontal orientiert.
Quelle: https://blogs.mentor.com/tom-hausherr/blog/tag/ipc-standards/
Diese Orientierung wird beispielsweise auch vom FED empfohlen und ist in der Praxis am besten anwendbar. Man denke z.B. an IC-Beschriftungen.
Auch wenn es selten vorkommt: Prüfen Sie beim Anlegen Ihrer Bauteile auch auf leichte Abweichungen im Bereich weniger Grad. Das kann durchaus mal vorkommen, wenn ein automatischer Fang am Raster ausgeschaltet wird. Meist dürfte das ein Versehen sein.
Dem Bestückungsautomaten ist das aber egal, er setzt ein Bauteil auch mit 87,82 Grad. Wir kontrollieren die Daten meist auf solche Abweichungen und korrigieren diese. Beim automatisierten Einlesen ist das aber nicht immer möglich. Auch hier gilt wieder: Am Besten an der Quelle abstellen bzw. vermeiden.
Was gibt es bei Pin1 noch zu beachten?
Weil es so gut hier rein passt, greifen wir noch einen anderen Aspekt bezüglich Pin1 auf: Die Zuordnung bei gepolten Bauteilen.
Hier ist die IPC-7351 eindeutig:
- Kondensatoren: Pin1 ist immer der positive Pin (Anode)
- Dioden: Pin1 ist immer der negative Pin (Kathode)
- Spulen: Pin 1 ist immer der positive Pin
Als Faustregel könnte also gelten: Pin1 immer dort wo die Markierung auf dem Bauteil ist.
Wir können nur empfehlen das als Designer konsequent einzuhalten.
Zum Problem wird eine andere Belegung wieder beim Matching verschiedener Datenbestände. Beispielsweise wenn wir einen Schaltplan vom Kunden bekommen und diesen mit unseren Layout-Bibliotheken abgleichen. Wir nehmen dann die IPC-konforme Belegung an, da eine vollständige Überprüfung in der Regel nicht möglich ist. Weicht ein Bauteil davon ab, liegt später meist eine Verpolung vor. Wir haben uns daher angewöhnt Polaritäten im Zuge des Layoutprozesses wenigstens stichprobenartig zu überprüfen.
Besser --> Von Anfang an IPC-konform arbeiten!
Fazit
Ein so unwichtig erscheinender Aspekt wie die 0 Grad Orientierung kann in der Fertigung für erhebliche Aufwände und Probleme sorgen. Die etwas unklare Normierung macht das Ganze nicht einfacher.
Mit einer einheitlichen Arbeitsweise kann der Designer den Prozess aber schon erheblich unterstützen.
Wenn dann auch noch die Polaritäten korrekt zugeordnet werden, ist man dem Ziel einer perfekt fertigbaren Baugruppe schon wieder ein Stückchen näher gekommen.